Die Frühjahrstagung der Deutschen Shakespeare Gesellschaft stand dieses Jahr in Weimar unter dem Motto „Flucht – Exil – Migration“. Damit wurde im Prinzip das letztjärige Tagungsthema der Reformation erweitert und gleichzeitig auf das diesjährige Gedenken an den Dreißigjährigen Krieg sowie aktuelle Thematiken eingegangen.
Im Eröffnungsvortrag am 20. April richtete Anne Fleig (FU Berlin) den Blick auf den Dreißigjährigen Krieg und nahm Bezug zu Shakespeares Werken, in dem sie schilderte, wie Friedrich Schiller seinen „Wallenstein“ mittels Shakespeares Julius Cesar und ähnlichen Stücken dramatisierte. Das Thema der Migration bezog sich in diesem Fall auf die Gattungsüberschreitung sowie der Migration der dramatischen Herangehensweise, die Shakespeare verwendete, und sich in Schillers „Wallenstein“ wiederfindet. Briefe Schillers geben darüber Auskunft, wie er sich Shakespeares bemächtigte um sein dreiteiliges Epos zu vollenden.
Der zweite Tag, 21. April, wurde eingeleitet von Kai Wiegandt, der anhand der „Robben Island Bible“ (oder wie es besser heißen müsste „Robben Island Shakespeare“) das Exil der Gefangenen auf Robben Island (unter ihnen Nelson Mandela) den Bezug der von ihnen angestrichenen und unterschriebenen Textstellen in Shakespeares gesammelten Werken beleuchtete. In seinem Vortrag verglich Kai Wiegandt die angestrichenen Textstellen mit den unterzeichnenden Personen, deren Leben und den Blick auf das Exil im eigenen Land sowie den Zusammenhang von Exil und Nationalismus. Er stellte außerdem den Akt des Unterzeichnens und die Herauslösung der Textstellen aus ihrem Zusammenhang in Bezug der Aneignung dieser Textstellen durch eben diese Unterschrift heraus und stellte außerdem die Legitimation der Kolonisation und den exilierten Status der Kolonisten in Frage.
Wer mehr über diesen „Robben Island Shakespeare“ wissen will, kann sich das Interview mit David Schalkwyk im Podcast der Folger Shakespeare Library anhören.
Im darauf folgenden Vortrag von Alexander Schunka (FU Berlin) ging es um die zu Zeiten Shakespeares entstandenen Flucht- und Migrationsbewegungen in Europa. Der Zusammenhang mit dem letzjährigen Tagungsthema der Reformation wurde deutlich erkennbar, da die Wanderbewegungen im Europa des 16.und 17. Jahrhunderts besonders der Konfession geschuldet waren und somit zwischen den britischen Inseln und dem europäischen Festland zahlreiche Verbindungen ergaben. Gleichzeitig zeigte Alexander Schunka anhand des Beispiels der Mobilität von Schauspielertruppen auch die Bewegung einzelner Berufsstände auf, die auch zur Verbreitung von Shakespeares Werken in Europa führte.
David Schalkwyk (s.o.) zeigte anhand des Beispiels von The Comedy of Errors und King Lear das innere Exil und die Identitätskrisen der Charaktere auf. Sein Hauptaugenmerk legte er auf die Begriffe „home“ und „exile“, dem „heimlichen“ und „unheimlichen“. In beiden Stücken wird das Zuhause zum Exil und das Exil plötzlich zum eigentlichen Zuhause. In beiden Stücken finden die Protagonisten im Exil ihre eigene Identität (wieder) und eine Gemeinschaft, mit der sie zuvor nicht gerechnet hatten.
Am Nachmittag nahm sich Christina Wald den Paradoxien des Exils in Coriolanus an. Insbesondere zeigte sie die Ähnlichkeiten Coriolanus mit klassichen griechischen Dramen, vor allem „Die Schutzflehenden“ von Aischylos, auf und beschrieb die Inszenierung der Schutzflehenden in Umsetzungen des Coriolanus in heutiger Zeit (Beispiel Verfilmung mit Ralph Fiennes, Theater mit Tom Hiddleston). Außerdem stellte sie die Paradoxie der Verbannung heraus, die Coriolanus im Stück einfach umdreht und das Volk als die Exilierten bezeichnet:
BRUTUS:
There’s no more to be said, but he is banish’d,
As enemy to the people and his country:
It shall be so.
Citizens:
It shall be so, it shall be so.
CORIOLANUS:
You common cry of curs! whose breath I hate
As reek o‘ the rotten fens, whose loves I prize
As the dead carcasses of unburied men
That do corrupt my air, I banish you;
And here remain with your uncertainty!
Let every feeble rumour shake your hearts!
Your enemies, with nodding of their plumes,
Fan you into despair! Have the power still
To banish your defenders; till at length
Your ignorance, which finds not till it feels,
Making not reservation of yourselves,
Still your own foes, deliver you as most
Abated captives to some nation
That won you without blows! Despising,
For you, the city, thus I turn my back:
There is a world elsewhere.
Coriolanus dreht also die Verbannung um – er ist nun derjenige der in Freiheit lebt („There is a world elsewhere“) und sperrt die Bürger Roms in ihrer eigenen Stadt ein, setzt ihnen gleichzeitig eine Identitätskrise ins Herz. Im Verlauf des Stücks gibt es zwei Schlüsselszenen von Schutzflehenden. Zum einen Coriolanus, der bei seinem Erzfeind Zuflucht erfleht. Zum anderen gegen Ende, wenn seine eigene Familie vor Coriolanus kniet und ihn um Verzeihung bittet, auch für das Volk. Christina Wald stellte diese Geste des Schutzflehens deutlich heraus anhand der o.g. Inszenierungen sowie den Beschreibungen der griechischen Klassiker.
Nicolas Poussin [Public domain], via Wikimedia Commons
Im folgenden Vortrag von Peter Meineck ging es ebenfalls um die griechischen Klassiker – Plutarch im Besonderen, der sich mit Exil und Empathie beschäftigte (s. dazu „De Exilio“ und „De Gloria Athenisium„). Peter Meineck berichtete außerdem von seiner Arbeit mit der Aquila Theatre Company und der Auseinandersetzung mit klassischen griechischen Dramen und Shakespeares Dramen, unter anderem von historischen Theateraufführungen in den Amphitheatern und der Bedeutung von Masken und Gesten. Der Einfluss der griechischen Dramen auf Shakespeares Werke ist unverkennbar – Coriolanus, Timon of Athens und Troilus and Cressida, um nur einige zu nennen.
Den Abschluss des zweiten Tages bildete die Podiumsdiskussion mit dem Thema „Theater und Migration“. Dabei wurden Projekte und Einrichtungen wie zum Beispiel Hajusom aus Hamburg vorgestellt. Gleichzeitig ging es um die Frage, ob Theater (oder auch Kunst) einen wichtigen Beitrag zur Integration von Migranten leistet. Es wurde außerdem die Frage aufgeworfen, wie aktuelle Themen wie Flucht und Migration in die Dramaturgie einfließen und zum anderen wurden politische und wirtschaftliche Hürden mit der Arbeit mit Migranten bzw. Kooperationen mit ausländischen Künstlern aufgezeigt. Die Frage, ob es überhaupt noch die Klassiker wie Shakespeare braucht, bzw. wie klassische Theaterstücke in die Arbeit mit Migranten einfließt, blieb unbeantwortet im Raum stehen.
Am 22. April wurde die Shakespeare-Tagung mit dem Festvortrag von Homi K. Bhabha beendet, der besonderen Fokus auf die derzeitige Migrationen und Würde der Toten sprach. Es ging vor allem um den Umgang mit toten Heimatlosen in fremden Ländern, wo eben kein würdevolles Begräbnis ermöglicht wird. Ebenso ging es um die Medialität der Würde, beispielsweise das Bild des toten Flüchtlingsjungen, der kopfüber am Strand liegt.
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